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06. Juni 2018 – Der Tag, an dem ich vollends mein Herz verlor.
In dieser Nacht schliefen wir nicht allzu gut. Noch immer plagt uns das
Gefühl, heute abreisen zu wollen und nicht noch eine Nacht hier zu verbringen.
Bei unserer
Ankunft gestern auf der White Lady Lodge wurden wir bitter enttäuscht. So sehr
freute ich mich im Vorfeld auf die berühmten Wüstenelefanten, für diese die
Lodge bekannt ist, aber leider wurden sie seit Monaten nicht mehr hier gesehen.
Auch wenn es wilde Tiere sind, so konnte ich meine Enttäuschung einfach nicht
begraben und bin seitdem zum ersten Mal in diesem Urlaub so richtig geknickt.
Wir möchten das Frühstück abwarten und dann
entscheiden, ob wir heute abreisen oder nicht. Draußen ist es sehr frisch, die
37 Grad von gestern wirken gerade nahezu surreal. Dennoch erfrischt diese
Morgenluft ungemein und ich gehe in mich. Kann nicht einfach ein kleines Wunder
geschehen und die Elefanten spazieren jetzt genau hier über den Platz, wie man
es von vielen Fotos und Berichten kennt? Aber wer glaubt schon an Wunder? Es
noch so still um uns herum und selbst die Grillen haben ihr Zirpen eingestellt.
Alles wirkt so friedlich und genau diese Stille lieben wir so sehr. Kein
Verkehr, kein stressiges Hin und Her und kein hektischer Lärm. Europa hat die
Uhr erfunden – Afrika die Zeit.
Die Sonne ist noch nicht aufgegangen und im Dunkeln machen wir uns auf
den Weg zum spärlichen Frühstück. Jayden, einer der Kellner, begrüßt uns mit
seinem ansteckenden Lächeln. Wir sollten uns während des Frühstücks
entscheiden, ob wir den geplanten Elephant-Drive als einen Nature Drive
wahrnehmen möchten. Jayden bekräftigt uns in der Entscheidung und so willigen
wir ein, nachdem er für uns die spontane Umbuchung für die kommende Nacht
erledigt hat.
Langsam geht die Sonne auf und hüllt den berühmten Brandberg in ein
feuerrotes Kleid. Dieses Bergmassiv macht seinem Namen alle Ehre. Man spürt,
wie es mit jedem Sonnenstrahl wärmer wird und jetzt freuen wir uns auch darauf,
mehr von dieser tollen Landschaft zu sehen.
Neben uns wartet noch ein Herr aus England, der uns urplötzlich fragt,
ob wir auch wegen der Elefanten hier sind. Wir schauen uns verdutzt an. Klar
sind wir das, aber sie sind ja leider momentan nicht hier. Er erklärt, dass sie
angeblich 30 bis 40 Kilometer entfernt seien und wir sie nun suchen würden.
Ich weiß
nicht mehr, was mir in diesem Moment durch den Kopf ging, aber ist es wirklich
an der Zeit, doch noch an Wunder zu glauben?
Unser Guide Helmuth fährt mit einem alten Landi vor, der stolze 450.000
km auf dem Tacho hat. Da ich noch immer skeptisch bin, frage ich nun ihn, was
es mit den Elefanten auf sich hat. Er erklärt uns, dass dies ein Special Drive
wird und wir versuchen werden, die Elefanten zu finden, die sich momentan in
Richtung Khorixas aufhalten. „Maybe we’ll find them“. Ich finde mein Lachen
wieder und strahle nun mit der augehenden Sonne um die Wette.
Wir durchqueren das trockene Rivier des Ugab Rivers und müssen zunächst
etwas Strecke gutmachen. Immer wieder vorbei an kleinen Häuschen, deren
Bewohner sich so gut es geht gegen die Elefanten rüsten, die hier Jahr für Jahr
einiges zerstören. Es geht weiter durch ein paar Tore, die immer wieder
geöffnet und geschlossen werden müssen, obwohl der angrenzende Zaun komplett
zerstört ist – That’s Africa!
Die Landschaft hier wirkt sehr karg und es wächst kein Gras. Kein
Wunder, dass wir bis auf einen Strauß, einen Schakal zwei Springböcke kein Wild
entdecken. Diese Gegend besitzt ohnehin keine große Wilddichte. Die Sträucher
und Bäume hingegen erstrahlen in einem satten Grün – die optimale Nahrung für
die Elefanten!
Es vergeht eine gute Stunde, bis wir an einer Wasserstelle die ersten
Elefantenspuren finden. Ein einsamer Bulle hat hier vor etwa zwei Tagen
getrunken erklärt uns Helmuth. Auch wenn der Bulle seitdem schon dutzende
Kilometer weitergewandert sein wird, sind unsere Augen nun vollends im Späher-Modus.
An einer weiteren Wasserstelle finden wir Spuren, die erst wenige Stunden alt
sind, was die Situation immer spannender macht. Helmuth erntet von uns
wahnsinnige Bewunderung dafür, wie er die Spuren im Auge behält und ihnen
folgt. Ich frage mich nur, wie man vom Weg aus in diesem unglaublich riesigen
Gebiet einen einzelnen Elefanten suchen will. Schnell werde ich eines Besseren
belehrt, indem es nun Off-Road geht. Helmuth lässt die Spur nicht aus den Augen
und wir halten das ein oder andere Mal die Luft an, als es über Felsen und Hackibusch
geht. Der alte Landi rüttelt uns ordentlich durch, aber alle Anstrengung bringt
nichts – die Spur verliert sich in dicht bebuschtem Gebiet, wo für uns kein
Durchkommen mehr ist.
Schade, aber das ist die wahre Natur. Ohne Zäune, ohne Grenzen. Wo die
Tiere dorthin ziehen können, wo ihr Instinkt sie hinführt. Es ist sehr schade,
dass es nur noch wenige solcher Gebiete auf der Welt gibt.
Wir lassen Helmuth nicht aus den Augen und sind uns sicher, dass er weitersucht.
Hat er etwa eine neue Spur entdeckt? Als er sich sicher ist, steigen wir aus
und er erklärt uns eindrucksvoll, dies seien die Spuren einer ganzen Herde, die
heute Morgen hier entlang gekommen sein muss. Er zeigt uns einen Ruheplatz
eines jungen Elefanten und untersucht den hinterlassenen Dung. Dieser ist noch
etwas feucht, definitiv erst wenige Stunden alt! Die unterschiedlich großen
Spuren sind noch gut erhalten und es ist noch kein Tier oder Insekt
durchgelaufen. Auch das deutet auf frische Spuren hin. Er beeindruckt uns sehr
mit seinem Wissen und wie er die Natur liest. Die Suche geht weiter und die
Spannung ist kaum auszuhalten. Petra und ich verlieren die Spuren immer wieder
aus den Augen, aber Helmuths Blick klebt fest daran. Er ist so konzentriert,
dass wir uns in einem kleinen sandigen Flußbett schließlich festfahren.
Als der Landi sich nach einigen Versuchen immer noch nicht bewegt, sehen
wir schwarz. Allerdings ist Helmuth nicht nur ein exzellenter Guide, sondern
auch ein geübter Fahrer und so befreit er uns mit aller Kraft, die der Landi zu
bieten hat aus der Misere. Weiter geht die Suche.
Wir sind jetzt weit über zwei Stunden unterwegs und erreichen schließlich
eine Stelle, an der ein ganzes Elefantenmeeting stattgefunden haben muss!
Rundherum sind unzählige Spuren und es fühlt sich unheimlich stark an, zu
wissen, dass hier Stunden zuvor so viele Wüstenelefanten Rast hielten. Helmuth
fährt mit uns auf eine Anhöhe und steigt aufs Dach, um eine gute Rundumsicht zu
haben. Auch wir spähen durch unsere Ferngläser und suchen die weite Ebene vor
uns ab. Nichts. Helmuth scheint jeden einzelnen Busch abzusuchen, aber auch er
wird nicht fündig. Einzig ein paar relativ frische Fresspuren können wir
entdecken. Aufgrund der vorangeschrittenen Zeit verabschieden wir uns langsam
von dem Gedanken, diese wunderbaren Tiere heute noch zu finden. Allerdings sind
wir uns einig, dass dieses Erlebnis trotzdem unvergessen bleibt.
Helmuth setzt unseren Weg fort und scheint gar nicht daran zu denken,
jetzt aufzugeben. Wir durchqueren die Buschebene und gelangen schließlich zu
einer weiteren Anhöhe, von der aus wir noch weiter schauen können. Dort findet
sich eine Felsformation, die wir hochklettern und ich erkenne weit weg zwei
Autos im Busch. Noch bevor ich oben angelangt bin, ertönt von Helmuth ein
lautes und freudiges „Elephants!!!!!!“. Zack, springen wir wieder ins Auto und
müssen uns nun einen Weg dorthin suchen, da es vor uns nur felsig bergab geht.
Er erklärt uns auf dem Umweg, dass es sich bei den Fahrzeugen um die
Organisation EHRA (Elephant Humen Relations Aid) handelt, die sich für den
Schutz der Wüstenelefanten einsetzt und versucht, den Mensch-Tier-Konflikt im
Auge zu behalten.
Unsere Aufregung steigt mit jedem Meter, den wir uns nähern und nach
fast drei Stunden intensiver Suche finden wir uns inmitten einer Herde von 14
Wüstenelefanten wieder. Die Tiere kennen Helmuth und den Landi und so können
wir sie entspannt beobachten, während sie fressen und Meter für Meter
weiterziehen. Irgendwann sind wir von der Herde eingekesselt und keiner macht
einen Mucks. Die Anwesenheit dieser erhabenen Tiere verbreitet Zufriedenheit.
Dass diese wilden Tiere uns in ihrer unmittelbaren Nähe dulden, danken wir
ihnen sehr.
Helmuth reißt mich aus meiner Schwärmerei heraus als er erklärt, dass
sich dort drüben in einem Pulk von einigen Tieren ein stattlicher Bulle versteckt.
Er wäre sehr stark und hätte einen abgebrochenen Stoßzahn. Augenblicklich merke
ich, wie sich in meinem Hals ein Kloß bildet und mein Herz einen Moment lang
aussetzt. Tränen sammeln sich in meinen Augen und ich kann es kaum aussprechen.
„Voortrekker?“, frage ich geistesgegenwärtig. „Yes, himself!“, antwortet
Helmuth. Damit ist es um mich geschehen.
Niemals
hätte ich mir erträumen lassen, den berühmten Sir Voortrekker einmal wahrhaftig
zu treffen. Er ist der älteste und berühmteste Bulle hier, wobei niemand sein wahres
Alter kennt, allerdings ist er weit über 50 Jahre alt. Viele Male habe ich ihn
im Internet bewundert und in den letzten Monaten wurde er nicht mehr gesehen.
Vor genau einer Woche meldete sich EHRA mit einem kurzen Clip, der zeigte, wie
er in Richtung Brandberg unterwegs war – mit einem abgebrochenen Stoßzahn.
Ich kann mich kaum beruhigen und wische mir hastig die Tränen fort. Voortrekker
lässt sich viel Zeit, bis er hinter den anderen hervorkommt und sich uns zeigt.
Ein Blick in sein mir bekanntes Gesicht reicht, um mich vollends zu verlieben.
Er strahlt eine solche Anmut aus, obwohl er so ein starker Koloss ist. Wir sind
umgeben von 14 wundervollen Elefanten, aber ich habe einzig Augen für ihn. So
muss sich Liebe auf den ersten Blick anfühlen.
Als er sich uns nähert und in voller Pracht präsentiert, können wir nur
staunen. Stolz wandert er an uns vorbei und Petra hält diesen Moment zum Glück
auf Video fest. Ich dagegen kann mich kaum auf ordentliche Fotos konzentrieren.
Das Privileg zu haben, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, kann man in
diesem Moment kaum beschreiben. Auch wie es in mir drin aussieht oder was mir
durch den Kopf geht, vermag ich mich nicht mehr zu erinnern. Viele Emotionen
treffen aufeinander, vor allem aber unglaubliche Dankbarkeit.
Wir folgen der Herde weiter bis zu ihrer momentanen Wasserstelle, wo
sich zwischen den Felsen tatsächlich noch Regenwasser befindet. Ein letztes Mal
beobachten wir diese wunderbaren Tiere und müssen uns langsam losreißen. Ich
verabschiede mich in Gedanken von Voortrekker. Möge man ihn und alle anderen
Wüstenelefanten mit aller Macht beschützen.
Auf dem Rückweg zur Lodge bietet sich uns ein wunderschöner Anblick
vieler kleiner gelb blühenden Blumen, die sich über eine weite Landschaft
erstrecken. Noch immer sind wir unheimlich dankbar und als mein Blick weiter in
die Ferne schweift, kommt es mir schlagartig in den Sinn. „Mama, überleg mal,
welches Datum wir heute haben….“. Wir schauen uns an und nun vergießt auch
Petra einige Tränen. Heute vor zwei Jahren ist ein geliebter Mensch von uns
gegangen, der dieser Begegnung erst recht einen Sinn verleiht. Wir sind uns
sicher, da muss jemand mitgeholfen haben an diesem wundervollen Vormittag.
Danke Opa!
Nach etwa fünf Stunden kehren wir zur Lodge zurück und reisen an diesem
Tag nicht mehr ab. Es gilt nun, das Erlebte zu verarbeiten und Runterzukommen.
Jayden empfängt uns und wir strahlen um die Wette. Wir erzählen ihm und allen
anderen von unserer Begegnung und man spürt, wie sich alle freuen, dass die
Elefanten langsam zurückkehren.
An diesem Abend singt die ganze Belegschaft der Lodge wieder fröhlich
für uns und in meinem Kopf kreisen die Bilder von Voortrekker. Genau dieser
Moment, dieser Tag, trägt dazu bei, mein Herz immer mehr an dieses Land zu
verlieren und Erinnerungen zu sammeln, die mich mein Leben lang begleiten
werden.
Es wird immer Tage geben, an denen man denkt, alles
geht schief. In solchen Momenten schließe ich die Augen, rufe mir genau diese
Erinnerungen in den Sinn und träume von einem Land, das mich nicht mehr loslässt
– Namibia.